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Häresie im Traumland, Gedanken über das
Goethe-Institut
Ein Text von Klaus Jans (1992)
HÄRESIE IM TRAUMLAND
von
Klaus Jans
Das Goethe-Institut atmet, langsam, in gleichmäßigen
Zügen.
Alles scheint sicher, niemand will stören – nur die Stirn liegt
etwas kraus gefaltet da.
Das sind die Stunden der Nacht, wenn die Gedanken nagend durch die
Hirne strömen. Was bleibt? Christa Wolfs bilanzierende, aber auch
selbstzweiflerische Frage taucht auf, um den Sinn der Arbeit zu
bewerten. Was bleibt von dem, was du da tust, Goethe-Institut?
Der unbelastete Blick von außen auf das eine Institut im Ausland.
Wie wirkt es? Wie liegt, wie steht es da? Sofort bemerkt man etwas
Chamäleonisches: Da war diese Ausstellung, jene 17 Fotografien,
sorgsam gehängt, und doch im Gesamtblick mehr als kümmerlich
– eher gymnasial als museal oder galeristisch. Am Tage danach das
große Konzert in der angemieteten Halle – ausverkauft. Dort
fühlte man sich großzügig, weltoffen und erfahren. Aber
das Geld macht es zu einem einmaligen Erlebnis. Die Bibliothek mit
ihren wenigen tausend Werken ist mehr als ein
Nichts, aber auch kaum mehr als ein Stadtteilbüro einer deutschen
Durchschnittsstadtbibliothek.
Das Projekt »Goethe-Institut« scheint sich irgendwo zu
bewegen, zwischen den Polen eines Niemandslandes, im Gestrüpp des
Kleingartenvereins, unter dem Barocksofa des Justitiars, in den
Gängen einer Konzertagentur und im Klassenraum des Landschulheims.
Nichts Großes, nichts beschämend Kleines, sondern irgendwo
blaß und unauffällig, manchmal vorlaut dazwischen. Was
denken die Anderen, die Adressaten, die lnländer? Weiß man
es? Die Jugendlichen und Studenten, die hier Deutsch lernen, um den
privaten und beruflichen Aufstieg zu beschleunigen, werden den
Vergleich mit ihren Ausbildungsinstitutionen suchen, vielleicht ein
paar
Unterschiede feststellen – aber doch immer an die Instanz
»Schule«
denken. Die Deutschen wiederum, die hier im Ausland leben und arbeiten,
oft Lehrer, Lektoren, in Bildung tradiert, sehen und suchen ein
Stück Heimat, einen Happen »Frankfurter Rundschau«,
einen
Bissen »Out of Rosenheim« (Kommt auf dem harten Stuhl
überhaupt
die Idee »Kino« auf?). Andere hoffen auf den Schluck Wein
beim kleinen
Begrüßungscocktail – oder wollen sie doch mehr als das?
Ist denn das Goethe-Institut nun der Ort, wo die Ideen
aufeinanderprasseln, Visionen und nüchterne Betrachtungen sich
ablösen? Oder ist es die Verwaltung der Bescheidenheit? Ist es die
heilende Hand für die Intellektuellen des Landes oder die Bau
gewordene Inkarnation von Abwechslung im täglichen Einerlei des
jeweiligen Gastlandes?
Wenn man sich solchen Betrachtungen und Visionen ohne innere und
äußere Zensur stellt, kommt man zu dem Ergebnis, daß
unsere »Darbietung« insgesamt gesehen etwas schwach auf der
Brust ist.
Es bleibt –zumindest an den kleinen und mittleren Institutionen – ein
Potpourri des Deutschseins, wobei erstens der
Eindruck entstehen könnte, alles sei ja ganz gut
»verwaltet«, und
zweitens sich der Verdacht einschleichen dürfte: »So toll
sind die ja auch nicht.« Über letzteres ließe sich so
oder so diskutieren, weil wir ja auch nicht als »toll« die
Selbstdarstellung betreiben wollen. Dennoch sollte ein deutsches
Kulturinstitut mehr sein als die Verwaltung des Mangels auf vielen
unterschiedlichen Bereichen, vornehmlich natürlich kultureller
Art. Kaum etwas erreicht die Qualität, die sich die
Institutsleitung wünschen würde, das meiste bleibt irgendwie
»halb«. Und es bleibt die weitere Abwägung von Nutzen,
Wirkung,
Bleibendem versus Aufwand. Energie, Stress, Input versus Output,
Realität versus Sehnsucht.
Angesichts solcher Trübnis kommen neue Ankündigungen
über magere Jahre angesichts
der erwünschten und tatsächlich erfolgenden
Neueröffnungen, besonders im Rahmen der
Osteuropa-Implosion. Schon meldet sich das
trickreiche Gehirn mit häretischen Fragestellungen. Ist dieser
Ansatz des »Alles in Allem«, des Allround-Instituts im
Ausland dann
überhaupt noch aufrechtzuerhalten? Wenn wir solcherlei Gedanken
hinsichtlich des multiqualifizierten Mitarbeiters als »enfant
terrible« schon anfechten, müssen wir dann nicht auch den
Arbeitsauftrag der lnstitute selbst überprüfen und an
neuzeitliche, postmoderne Veränderungen anpassen? Noch geht es
lediglich um die Verschiebung der Geldmittel, aber auch
Umstrukturierungen werden erwogen, ja, man kam sogar auf die neue Idee
der lnformationsbibliothek – quasi als Ersatz für ein nicht
finanzierbares Institut.
Also eine eher notgedrungene statt wirklich gewollte Reaktion auf
Wahrheiten; unter anderem soll die mährische Stadt Brünn
davon profitieren.
Jedoch, mir scheint, daß in dieser halbherzigen, zwangsgeborenen
Antwort mehr Essenz liegt, als mancher wahrhaben will. Es liegt darin
nämlich eine gewisse Ehrlichkeit gegenüber den Anforderungen,
die an das Institut in aller Welt gestellt werden. In einer
Informationsgesellschaft, die von Satelliten, Bits, Umschaltstationen
nebst der zugehörigen Apparatur bestimmt (und zunehmend gelenkt)
wird, kann das Goethe-lnstitut nicht als Rückzugsort für
hehre Literaten überleben. Es hat sich beim längst noch nicht
zum Allgemeingut avancierten »erweiterten Kulturbegriff« zu
bewegen: Es
muß auch den »erweiterten Informations-, Bildungs- und
Gesellschaftsbegriff« weiterdenken.
»All das könnte nämlich konkret bedeuten«, so
der Häretiker, »daß sich das Goethe-Institut ganz
bewusst in einen Umschlagplatz für Wissen, Daten
und Verknüpfungen umwandeln wird, daß das
Goethe-Institut sich zu einem Informationsdienst
Deutschland oder auch einem Goethe-Express
oder einer Johann-Wolfgang-Datenbank – welcher
Name auch immer – umstrukturieren muß. Und von der Verwaltung der
Sprache und Kultur zur Verwaltung aller Informationsströme eines
Landes ist gar kein so weiter Weg, wie es die langjährige
Gewohnheit vermutet.«
Erster Aufschrei! Wir sind die Sachverwalter von Geist, Diskurs,
Philosophie; wir stoßen an, bewegen, reformieren, kommunizieren;
wir vertreten die Aufklärung, Demokratie und zivilisatorische
Dynamik! Aber ein zweiter Blick: Wenn das Goethe-Institut gebraucht
wird, dann als Vermittler, Besorger, Übergeber, Lieferant von
Ressourcen aller Art – Geld natürlich, immer gerne gesehen, aber
auch Sachmittel, Kontakte, Informationen, Beziehungen und vieles mehr.
Man würde sich zudem enorm belügen, wenn man die
Deutschlandliebe vieler unserer Klienten bzw.
Besucher für uneigennützig und rein schwärmerisch
hielte. Das ist nur bei kleinen, vielleicht aussterbenden Minderheiten
der Fall. Die Masse denkt: Ich! Ego! Gerade in diesen Tagen der
wechselnden Konstellationen, der immer größeren
Migrationsströme – gerade in diesen Tagen ist Deutschland vor
allem ein Objekt der Begierde nach Annehmlichkeiten aller Art.
Wie sehen die Fragen an Goethe-Mitarbeiter in der Praxis aus? Woher und
wie bekomme ich ein Stipendium? Was muß ich tun, um in
Deutschland
ein Konto zu eröffnen? Ich bräuchte ganz dringend eine
Dissertation aus dem Bereich Maschinenbau! Kennen Sie die genauen
Visa-Bestimmungen für einen Aufenthalt in Deutschland? Was kostet
eine Zugfahrt von Köln nach Hannover? Kann man sich in Dresden zum
Hufschmied ausbilden lassen? Wieviel verdient ein EDV-Programmierer bei
Siemens-Nixdorf?
Fragen ohne Ende, Fässer ohne Boden.
Ist es Häresie, darauf hinzuweisen, daß an dieser Fülle
von Aufgaben und Nachforschungen
Bibliothekare bald verzweifeln werden? Daß
natürlich auch die ortskräftigen Sprachlehrer nicht
weiterwissen? Und daß auch die deutschen
Entsandten (lnstitutsleitung inbegriffen) ein ums
andere Mal passen müssen? Da wird dann mit den
Schultern gezuckt oder telefoniert, soviel es geht.
Kein Wunder, denn es ist ja schon schwierig genug, jemanden im Institut
zu finden, der die
DAAD-Förderungsbedingungen für ein Stipendium erläutern
kann oder sogar die Antragsformulare parat hätte – und das,
dieweil der DAAD eben jene Goethe-Institute als Anlaufstellen ersten
Ranges anpreist.
Ist es Häresie, sich vor Augen zu führen, daß die
Tätigkeit des Goethe-Instituts sich Schritt für Schritt in
eine solche Richtung verschiebt? Das sagt schon allein eine Definition
der Spracharbeit im Ausland: Es soll nämlich für
»Deutsch als
Kultur-, Wissenschafts-, Wirtschafts- und Verkehrssprache«
geworben
werden. Diversifikation ist also angesagt – aber eben auch Fluß
von Information. lnterne Ausdrücke wie
»Programmbörse«
für Absprachen der Regionalinstitute nehmen solche Entwicklungen
dezent vorweg.
Ist es denn Häresie, zu erklären: Wir verzichten auf die 25
kleinkarierten Städteansichten im Foyer, wir vergessen den
leichtfüßigen Vortrag der Dozentin aus Itzehoe, wir lassen
das verstimmte Klavier, da wo es ist (im Nebenraum)? – Und dann?
Konzentrieren wir uns in erster und vorderster Linie auf die Aufgabe
des Mittlers und Vermittlers. Von Deutschland, nach Deutschland,
über Deutschland. Erst dann kommt »das Extra«, was
nach den
Ansichten des Brechtschen Herrn Keuner den Sinn des Lebens ausmacht,
und
das waren: gewitzte Veranstaltungen, freche Symposien, abgestimmte
Abendveranstaltungen, genial gehängte Ausstellungen,
verträumt gelungene Lesungen und insgesamt Dinge, die hohe
Qualität und den konzentrierten Einsatz der knappen Ressourcen
ausmachen.
Noch etwas muß klar sein: Daß sich mehr und mehr alle
gesellschaftlichen Bereiche, schlichtweg alle, in die Tätigkeit
der Goethe-lnstitute hineindrängen. Natürlich ist es in
erster Linie die Ökonomie, die sich der wichtigsten Felder
Politik, Wissenschaft, Kultur, Sport und Religion bemächtigt, sie
den Bedürfnissen des Warenmarktes anpaßt und auch den
geisteswissenschaftlichen und humanistischen Goethe-Touch nicht
unberührt lassen wird.
Überhaupt lassen sich die Segmente der Gesellschaft gar nicht mehr
so leicht trennen, da die Verknüpfungen zunehmen, Bewertung von
Handlungen in »gut« und »böse«, was
früher so viel leichter
schien, ist heute kaum noch möglich. Auch das
»Deutsche« wird sich
in solchen Verschmelzungsprozessen verlieren. Während das
europäische und das multikulturelle Mix
mehr und mehr selbstbewußt hervortritt. Immer noch werden die
Entsandten in den Städten der Welt präsent sein und etwas von
dieser Kultur erzählen, aber mit Werten operieren, die im
eigentlichen Sinne nicht mehr typisch deutsch sind.
Bliebe die Frage, ob man sich zu der undankbaren Rolle des
Informationsverwalters bekennen will oder soll. lst die deutsche
Sprache und die deutsche Kultur nicht mehr? Viel mehr? Doch, doch, doch
– so schnell verliert sich das nicht, zumal in Osteuropa die Zeitachse
noch nicht den Anschluß an die westlichen Entwicklungen gefunden
hat. Aber ohne den Wandel in das nächste Jahrtausend im Kopf und
dann ohne ihn
auch in der Praxis zu vollziehen, bleibt die
Goethe-Arbeit nur gutgemeinte Flickschusterei
mit dem Charme des Schullandheims. Da ließe
sich fragen, oh so ein Auslandsbild erwünscht
sei. Wer nicht fragt, der ...
Der Häretiker wälzt sich im Bett, verschwitzt,
vor Angst immer wieder erwachend. Häretiker
haben niemals einen ruhigen Schlaf.
Das Goethe-Institut atmet, jetzt schon viel schneller. Es denkt.
___
(Der Text wurde hier
für die Homepage-Variante nochmals durchgesehen, aber nicht auf
die neuere Rechtschreibung angepasst.)
EIN TEXT VON KLAUS JANS, Erstversion wurde publiziert im Juli 1992 in
der Zeitschrift »GI-Intern«, 3/1992, Seite 25 bis Seite 28.
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