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von klausjans.de
ZU DEN RADIONACHRICHTEN
Ein Kurz-Essay-Text von Klaus Jans, Juli 2022
PROBLEME beim Auflösen der Meldungen von Unfällen,
Katastrophen et al. in unseren Köpfen.
Stichwort "nachhalten" und "nachhaltige Nachrichten": Wie ging es
weiter? Was war mit dem DANACH? Was passierte danach?
BEISPIEL: Was wurde aus den Millionen Menschen, die in Pakistan oder
Bangladesch
(laut RADIO-Nachrichtenmeldung) vom Hochwasser betroffen waren?
Es gibt
unendlich viele
Nachrichten und Berichte,
die sich hochkochen, über ein paar Tage, dann aber gänzlich
und fast plötzlich nach der Devise "zack, zack, vorbei"
auch schon wieder verschwinden.
Ich nenne nur mal die
unendlich lange Liste von Feuern ... Buschfeuern, Waldbränden, was
immer. Recht aktuell ist/war aus Brandenburg ein Meldungs-Beispiel. –
Solche Feuer sind nur ein einziges Thema in dem breiten "Segment"
(Natur)Katastrophen. Aber man muss ja mal mit etwas Konkretem in
solch einem Text anfangen.
Dann hört man, so
nebenbei, aber wieder und wieder, je nach Brand, je nach Land, dass
es da und dort Feuer gibt, dass es vielleicht schon Tote gibt, dass
vielleicht ganze Ortschaften abgebrannt sind, und diese oder jene
zumindest evakuiert oder jetzt furchtbar schnell evakuiert werden
müssen usw. Eine Meldung, die nächste Meldung, Warnung,
noch mehr Warnung. Angst. Tote, oder nur vielleicht Tote. Was immer.
– Oder doch glimpflich? Am Ende? Weil der Wind noch
drehte?
Das kann in Brandenburg sein, in Kalifornien, in
Mexiko, auf einer Insel von Indonesien. Im Bergdorf Santa
Gradanziata. Oder in Wudistan. Denken Sie sich selber die Namen aus.
Letztlich überall. 1, 2, 3, 4 Tage lang. Meldungstechnisch oft
"Strohfeuer", denn schon sind sie gerne auch wieder weg.
Aus den Nachrichten. Die Brände. Sie lodern hoch, sie glühen
aus.
Sie können diese Grundidee jener
"Brand"-Nachrichten (bisweilen gibt es auch Feuerwalzen)
auf alle Orte und Länder der Welt ausdehnen, und zudem auf alle
Naturkatastrophen. Eigentlich auf alle Katastrophen.
Je
nachdem, was die Agenturen davon melden ... oder Korrespondenten,
evtl. Bürgerreporter ... falls jeweils halbwegs in der Nähe.
Als Medienmensch ruft man neben Funktionären und
Funktionärinnen
bisweilen auch noch Deutsche und sonstige Ex-Patriats an, deren
Mail-Adressen und Telefonnummern man klug kennt oder recherchierte,
um so zu Nachrichten und Informationen aus der Katastrophen-Region zu
kommen.
Wir aber hören im Radio, in XXX ist etwas
Schlimmes passiert, es wird schlimmer, der Wind dreht sogar auf, es
wird noch, noch, noch schlimmer. Die Brände schlucken bald ganze
Ortsteile! Dörfer! Höchste Lebensgefahr! Erste Opfer, ja,
Tote. Man leidet mit den Menschen, man sorgt sich, man weiß
meist gar nicht, wo es genau ist, wer es genau ist. Alle werden wohl
ihr Haus, ihre Wohnung verlieren, heißt es. Einige dieser
unendlich vielen Sorgen werden in der Ferne am Radio von uns
Hörern
dann empathisch geteilt.
Tja, und dann sind die Brände
(anscheinend) (irgendwie) gelöscht. Die Feuer "verhungern"
durchs Löschen ... oder ein erlösender Regen kam. Manchmal
(oder eher oft?) kommen dazu explizit gar keine Meldungen mehr, die
dann vom Ende der Katastrophe berichten. Zumindest mal vom Ende der
Brände, vom Löschen der Brände. Die definitiv das
erste Aus des Gesamt-Dramas beschreiben.
Dass solche
Ende-der-Bedrohung-Meldungen überhaupt kommen, darauf kann man
sich nicht verlassen, als regelmäßiger Hörer am
Radio. Oft ist da ein "Fade away" der Meldungen. Eine Art
von Vergessen und Vergessen-Werden unter dem möglichen Motto:
"Ach ja, war da was? Diese Brände? Wo noch mal? Die waren
doch vorbei? War das nicht so? Was hat denn jener Hörer, diese
Hörerin nun? Worüber regt er/sie sich denn da auf?"
Und schon alles ist vorbei. Man hört meist nie
wieder etwas davon. Da ist ein Brand anscheinend "ausgebrannt",
also auch das Thema "erloschen", aber ich, der Medien-User,
weiß es nicht mal. Es kommen oft keine Meldungen, die nach all
dem mitgehörten Schrecken einen ersten Abschluss bilden
könnten.
Die Brände "verschwinden" eher so ziemlich
klammheimlich aus der Nachrichtenlage und unserem Bewusstsein. So,
als hätte man uns mit Informationsmüll zugestopft, der von
oben aus der scheinobjektivierten Distanz betrachtet keinen rechten
Sinn mehr macht. Kopf und Herz wurden infomäßig mit einem
Feuer an Feuer-Infos befüllt. Und nun? Wozu soll alles gut
gewesen sein?
Ich als Hörer also folgere: Zu ABC und
MDF und FGK kommt nichts mehr, nun, dann werden sie wohl alles
gelöscht haben.
Ex und Hopp.
Aber mein
Kopf spielt dennoch nicht ganz mit.
Da könnten 287
Menschen 132 Häuser verloren haben. (Dazu kämen viele tote
Tiere, wenn es sich um Farmen und Bauernhöfe handelt.) Alles
weg: komplett, vollständig, vielleicht Grundmauern noch da (je
nach Bauart). Das ist schon schlimm genug, auch schon ohne
Todesfälle. Aber man hört doch von diesen
Häuser-verloren-habenden Menschen eigentlich nie mehr, nichts
von deren Schicksalen.
Ausnahme war vielleicht Thomas
Gottschalk, als Promi. "16. November 2018, 20.36 Uhr: Die Villa
von Thomas Gottschalk, 68, ist bei dem Feuer im Nobel-Vorort Malibu
komplett abgebrannt." Aber auch da ist das Berichten über
das gänzlich ausgebrannte Haus irgendwann natürlich auch
mal vorbei. Dafür wohnt Herr Gottschalk nun offenbar neu in
Baden-Baden und tritt regelmäßig im Fernsehen auf. Ein
Betroffener ist auch er, aber durch sein vieles Geld auf besser
erträglichem Leidensniveau. Qua Verlust von
Erinnerungsstücken
jedoch auch in dem Zustand, den alle solche Menschen ertragen
müssen,
wenn nachher alles weg ist, weggebrannt, vernichtet: kein Foto mehr
da, kein Brief, kein Schulzeugnis.
Dann fragt man sich
angesichts der Verluste an Menschen und angesichts der Verluste an
Besitztümern: Warum melden die Medien uns alles das, wenn sie
sich nachher gar nicht für das Schicksal der Menschen [[Ausnahme
bleibt Gottschalk]] interessieren bzw. sich nicht mehr dafür zu
interessieren scheinen. (Der subjektive Eindruck entscheidet
da.)
Vor Kurzem wurde von bis zu 6 Millionen (!!!)
Obdachlosen nach heftigsten Regenfällen in Bangladesch
berichtet. Und nun? Wo sind sie? Gewiss, die haben
regelmäßig
ihren Monsun, irgendwie kennen die das. Aber es sollen die
Regenfälle
ja jedes Jahr stärker und stärker sein, und mehr und mehr
Menschen betroffen sein. Auch jenseits der Monsun-Saison kommt es nun
zu Hochwasser-Ereignissen. Wie finden die ins Leben zurück? Denn
oft hat man kleine Behausungen, die komplett vom Wasser weggeschwemmt
werden, Hütten. Wie geht es mit diesen 6 Millionen Menschen denn
weiter? 6 Millionen! So ganz nebenbei mal als Meldung im
Nachrichtenblock. 6 Millionen! Man stelle sich die Zahl und Masse mal
vor! Obdachlos! Das muss man sich mal genau vorstellen! Zählt
der Verlust kleiner Hütten weniger als der von festen
größeren
Häusern? Zählen Menschen aus Süd(ost)asien per se
weniger? 6 Millionen!
Eine Ausnahme für das
Wahrnehmen und Nachberichten ist die
Ahr-Erft-Volme-XY-Flut-Katastrophe. Da schauen wir nun alle aktuell
auf den 14. Juli. Den Jahrestag. Da wird es etliche Sendungen und
Berichte geben. Okay. Aber dieses Ereignis ist sehr nah zu uns, auch
nah z. B. zum Radio-Sendeort Köln. Und 134 Tote bei einem
Hochwasser
(hier nur die Zahl für das Ahrtal) ist für uns in
Deutschland doch sehr unüblich.
Was aber ist mit den
Lumez und den Millers? Mit den Xi und den Danol-Lei? Den
Roschjkowitch? Den Baranapur? Den Müllermaiers? Was wurde aus
diesen, solchen Familien, hier mit fiktiven Namen? Wo wohnen sie
jetzt? Wenn sie Katastrophen erleben? Wie bewältigen sie ihr
Trauma in China oder Sancho Rancho oder Agoschtonzk oder Ollersdorf?
In Delhi? Wie geht Wohnen, Leben, Arbeiten denn weiter? Davon
hören
wir in den Nachrichten allzu oft nie mehr etwas.
Ich würde
mir wünschen, dass man bei allen diesen Ereignissen wieder und
wieder berichtet und das Danach meldet, immer wieder: Aufbau? Trauma?
Arbeit? Wunden? Was machen die Menschen denn nun? (Und das nicht nur
von der Ahr.) Auch das immer wieder mal als Nachricht.
Ich
würde wollen, dass man für jedes gemeldete Ereignis
nachhält: Haben wir auch vom Danach etwas gemeldet? Gab es
zumindest mal eine Art von Bilanznachricht: "Rund einen Monat
nach den Bränden von HJKL steht nun fest, dass es zu 120 Toten
und 700 vollständig zerstörten Häusern kam. Ein
kompletter Ortsteil in HJKL ist real nicht mehr existent. Die
große
Masse der Betroffenen wurde zuerst einmal in eine Containersiedlung
in der Nähe von KLGGZ gebracht, wo in den nächsten Monaten
erst einmal eine Art provisorisches Ersatzdorf betrieben werden soll.
Über den Wiederaufbau des alten Ortsteils ist noch nichts
entschieden worden, denn ..."
Sobald man über
Katastrophen berichtet und Nachrichten verbreitet, bräuchte es
auch ein Danach-Melden. Und das nicht nur als kleine Reportage zum 1.
Jahrestag und zum 10. Jahrestag und zum 25. Jahrestag. Sondern eher
und häufiger.
Ach ja, mir fällt gerade ein: Was
machen eigentlich die Menschen in Nepal, dieses schlimme Erdbeben?
April und Mai 2015. – Und: Was werden die Menschen des
Erdbebens, jetzt, vor einigen Tagen (?), Wochen (?), in Afghanistan,
Nähe Grenze Pakistan, denn in drei Monaten wohl machen? Die
Überlebenden? Wie leben sie? Wie essen sie? Wie weinen sie? Um
ihre Toten? Und die Verletzten? Konnte man ihnen überhaupt
helfen? Ein Thema: medizinische Versorgung ... und die medizinische
Ausstattung per se. Auch: Wurden die kaputten Dörfer
vollständig
aufgegeben? Oder baut man wieder auf?
Man wird sagen: Wir
kennen das Problem doch selbst. Eigentlich. Es ist für uns ein
Generalthema in den Redaktionen, auch bei den Nachrichten. Aber: Wie
sollen wir denn jemand nach X und Y schicken? Wir haben doch gar
keine Korrespondenten. Bei uns berichtet einer oder eine gerne mal
für sieben Länder. Wir können oft nur melden, was aus
den Agenturen reinkommt. Und wenn diese keine Danach-Meldungen haben,
dann können wir auch nichts dazu im Radio senden.
Ich
aber sage: Warum berichten Sie denn dann überhaupt? Zuvor dann?
Welches Interesse verfolgen Sie (und letztlich: wir alle) mit
Berichten über Brände, Naturkatastrophen, Leid, wenn Sie
sich (so scheint es) als Medien, und als Deutschlandfunk konkret, gar
nicht für die Menschen und diese ebenso schlimme Leid nach dem
Leid (oder auch mal den gelungenen Wiederaufstieg nach dem Leid?) zu
interessieren scheinen.
Die "Bild" wird dann
vielleicht freudig schreiben: "Die Feuerhölle von
Kanupistan", wie fein aber auch, und mit dem Bild-Fernsehen (ist
in der Kabel-TV-Grundversorgung ohne Aufpreis nun drin) kann man
solche Schlagzeilen nun auch auf den Bildschirm bringen und sich im
Medien-Großkonzern "Axel Springer SE" an diesen
Schicksalen seine Klickzahlen, Leser und Fernsehzuschauer
herbeiholen, um zugleich die betroffenen Menschen, die Opfer, dann
recht bald wieder zu vergessen. Eine Schlagzeile und ein Erschaudern
der Medienkonsumenten*innen hat denen dann schon genug
"gebracht"!
Aber der Deutschlandfunk sollte doch
da ganz andere Prinzipien haben.
Es müssten
eigentlich alle Meldungen wieder und wieder "nachbefragt"
werden, und das nicht nur zu dem einen "Jahrestag", und
das dann nicht nur bei besonders bekannten und tragischen
Großereignissen wie bei dem Tsunami Indischer Ozean 2004, wie
zum 9/11 = 11.9.2001 (keine Naturkatastrophe!), wie bei der
Starkregen-Flut 14./15.7.2022 oder auch bei dem Vulkanausbruch auf La
Palma, 19. September 2021 bis 14. Dezember 2021.
Da, für
La Palma, wäre der 19.9. dann der mögliche Jahrestag. Aber
ich möchte ohne Jahrestag immerzu eigentlich wissen: Was machen
die Leute, deren Häuser von der Lava auf ewig versiegelt wurden,
und zudem deren kompletten Grundstücke? Wohin sind die Menschen
gegangen, gefahren, geflogen? Geflohen? Wovon leben sie heute? Wo
leben sie heute? Wie viele haben die Insel nun dauerhaft verlassen
und versuchen woanders wieder Fuß zu fassen? Wer nahm sich gar
das Leben? Wann kommt dazu mal wieder eine Radionachricht?
Sie
können das ausweiten auf Themen wie Flucht, Flüchtlinge. Wo
sind sie? Wo sind die, die da von Weißrussland über Tage
absichtlich nach Polen geschickt wurden? Die Polen aber nicht
durchließ? (Und dann kam ein Zaun.) Als ein Beispiel von so
vielen: Wo sind sie? Wo sind die Flüchtenden, die Verarmten, sie
werden Wirtschaftsflüchtlinge auch schnell mal genannt, die
immerzu von Frankreich nach Großbritannien wollten, Calais nach
Dover? Einfach nur weg! Weg aus den Berichten auch, da die
Lagerstätten in Frankreich irgendwann von französischer
Polizei und Militär geräumt wurden. Man hatte zuvor aber
eine Zeit lang fast täglich dazu Flüchtlings-Zahlen von
Rüberwollenden gemeldet. So viele wollen, so viele versuchen, so
viele werden es tun ... nach Großbritannien rüber,
hieß
es, und warten hier oder dort unter dem Betonvorsprung.
Was
geschah mit den mindestens 23 (?) Toten in der spanischen Enklave
Melilla in Marokko? Ein recht aktuelles Ereignis. Hunderte Menschen
versuchten, den Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Exklave
Melilla zu überwinden. Wo wurden diese Toten beerdigt? Und was
geschah mit denen, es gab ja welche, die tatsächlich in die
spanische Enklave über den Zaun hinüberkamen? Was passiert
mit den Todeschützen, den Polizisten bzw. Soldaten?
Wo
sind alle die Tausenden "Merkel-Flüchtlinge", die dann
nach Deutschland reingehen durften, ja, gehen, zu Fuß
teilweise. Wo sind aktuell die Flüchtlinge, die in Mexiko
warten, weil sie in die USA wollen, oder bereits in die USA auch
reinkamen, aber dann nicht in den USA selber weiterkamen. Andere
gehen gerade in Guatemala los.
Das Thema "Krieg"
spreche ich jetzt minikurz nur an: Bei und in der Ukraine passiert so
unendlich viel Schlimmes, das kann man gar nicht alles melden, wenn
es allein schon passiert. Ein Krieg hat Tausende grauslicher
Ereignisse. Ein Danach-Melden wird bei dieser Schlimm-Ereignis-Menge,
der Krieg wurde ja böse-absichtlich begonnen, von Putin und
seinen Konsorten, noch viel schwieriger. Aber es kam nun (Wochen nach
dem schrecklichen Bombardement) etwas zum Theater in Mariupol und den
Opfern als Nachricht, weil "Amnesty International" einen
genauen Bericht zu diesem Kriegsverbrechen vorgelegt hat.
Oder
man denke an Katastrophen, die der Mensch erschuf. Man erinnere
allein an die schlimme Explosion im Libanon, Explosion von
Ammoniumnitrat in der libanesischen Hauptstadt Beirut am 4. August
2020. Ich denke da oft: Wie geht es den Menschen, die überhaupt
in der Nähe davon überlebten? Wer musste wohin? Was wurde
aus dem gesamten Hafen? Die Verletzten? Architektonisch alles
weiterhin "platt"? Was soll da werden? Wie funktioniert es
in Libanon nach diesem zusätzlich schlimmen Ereignis in einem
stark angeschlagenen Land, oder in jenem Beirut, was früher als
"Paris des Nahen Ostens" so hochgelobt wurde? Wird da
überhaupt was wiederaufgebaut? Was ist mit den Schuldigen? Wo
sind die? Gab es die? Wird ermittelt? Wird prozessiert? Wird
bestraft?
Dazu höre und sehe ich eigentlich nie was,
weder im Fernsehen, noch im Radio. Ich wüsste es nicht. Es fehlt
mir (in meiner Wahrnehmung) der Verlauf der Dinge, der Fortgang der
Ereignisse danach. Vielleicht hat der Weltspiegel in der ARD mal
einen Bericht dazu gehabt (... und ich den dann verpasst). Oder es
war in der Sendung "Eine Welt" beim DLF. Okay. Aber
nachrichtenmäßig ist all das nicht mehr dauerhaft und
regelmäßig existent. Das ewig Neue überlagert (für
mich, für viele) das stete Nachhalten und Befragen des "Alten".
Wir haben also diese große Spanne zwischen den
"Ereignissen", die man für so wichtig hält, um
sie uns als Nachricht zu melden, und den nächsten, weiteren
Ereignissen (bezogen auf eben diese Erst-Ereignisse) danach, die man
uns dann nicht mehr meldet. Vielleicht ... weil der Akut-Faktor und
der Sensations-Faktor dabei fehlen.
Man könnte sogar
eine extra Sendung erschaffen, Titel etwas wie "Danach. Was
wurde aus ...?". (Es gab mal im STERN eine Rubrik, vielleicht ja
heute noch, ich lese die Zeitschrift nicht: "Was macht
eigentlich ...?" oder so ähnlich. Da ging es um einst mal
[medien]bekannte Menschen und was aus ihnen wurde, nachdem das
Rampenlicht für sie ausgegangen oder -geschaltet war.)
Also:
Immer den Dingen "nachgehen". Also noch mehr als bisher:
Nachgehen! Hinterhersein! Das wäre doch mal was! (Und das
könnte
man dann "nachhaltig" nennen ... bezogen auf Medienarbeit!)
Als Prinzip, nicht als Jahrestags-Report, weil man sich das im
Kalender der Redaktion oder des Senders notiert hat. Sondern per se
ein "Nachgehen" als oberstes Hoch-Prinzip. Auch bei
Radionachrichten, nicht nur bei alljährlichen Mini-Reportagen
wegen eines Datums.
Es sei an dieser Stelle auch bemerkt,
dass verhungernde Menschen im Jemen per se, also allein als das:
verhungernd, ja noch keine Meldung sind. (Obwohl sie es täglich
sein müssten!) Es gibt dazu auch keinen Jahrestag. Sie
verhungern ja dennoch, andauernd. Das passiert aber still, wieder und
wieder, und ohne die wilde Aufregung wie bei einer Feuerwalze. Die
andauernd Verhungernden werden erst zur Meldung, wenn Sprecher/innen
einer kleineren NGO oder mehr noch von einer sehr bekannten
Organisation wie UNHCR oder UNICEF oder ILO et al. sich
äußern.
In einer Pressekonferenz vielleicht. Es ist aber in den bekannten
Hungerregionen ein dauerndes Sterben, wäre eigentlich eine
"dauernde Meldung", ja, also eine regelmäßige
Meldung wäre das. Problem: Verhungern ist ein Ereignis, bei dem
sich kaum etwas ereignet. Nachrichtentechnisch schwierig, ich
weiß,
human aber so wichtig!
Nun fällt mir noch die
Corona-Pandemie ein. Dabei nur eine einzige Sache, ein (kleines?)
Detail: Es gab bei diesen Lockdown-Phasen immer wieder Meldungen aus
den USA, gerade New York. Da wurde berichtet, dass Zehntausende ihre
Wohnung verlieren könnten, denn durch den Lockdown dürften
viele ihre Jobs nicht mehr ausüben und wüssten die extrem
hohen Mieten demgemäß auch nicht zu bezahlen. Es gibt
für
die Masse der Jobber in den USA dann auch keine Art von
Arbeitslosengeld. Sie sind also über Nacht arm, wenn sie nichts
Erspartes besitzen. So hörte man es.
Dabei schien es
zudem noch so, dass man in den USA viel schneller als bei uns
wohnungsmäßig "auf der Straße steht", also
gekündigt, entmietet, geräumt wird ... was immer ... da
dort schlechterer gesetzlicher Schutz für Mieter als z. B. bei
uns existiert. Ich habe nach solchen Nachrichten wieder und wieder
gedacht: Was machen die Leute denn nun, wenn sie zu Tausenden ihre
Wohnung verlieren? Nie habe ich davon etwas gehört, nie. Wie
viele haben ihre Wohnung verloren? Schlafen die nun alle im Park? In
New York findet man doch keine bezahlbare Wohnung. – Alles das,
was viele Male als drohendes Schicksal für die Mieter*innen in
New York et al. in den USA vermeldet wurde, war offenbar nicht
eingetreten oder fand zumindest nicht den Weg in die Nachrichten.
Null Info dazu danach. Weshalb hat man das horrorähnliche
Entmietungsszenario dann wieder und wieder in den Nachrichten
angekündigt? X-fach! Wozu? Das frage ich mich.
Ich
denke derzeit auch immer nach, wenn über Lockdowns in China
berichtet wird, bekanntlich extrem strenge Lockdowns, Wochen, sogar
Monate, wie jüngst in Shanghai: Wie machen die Leute das mit
Miete und Beruf? Wie ist es überhaupt geregelt? Bekommen die
denn Lohnfortzahlung bei solch einem Superlockdown? In China wird
nicht entmietet? Und die selbständigen
Straßenverkäufsstände
und Imbisse aller Art? Wurden die finanziell denn aufgefangen? Auch
dazu keine einzige Nachricht. Aber wieder und wieder wurde von den
Eingeschlossenen berichtet. Und doch geht es immer (A) um ein
Ereignis und (B) um die Folgen.
Ich aber höre
(stattdessen?) im Radio wieder von den nächsten schlimmen
Bränden dort oder da, lass es nun mal Australien sein, und
weiß
schon beim Hören: "Warum höre ich mir das an? Ich
werde ja doch nicht erfahren, wie es den Menschen danach ergeht.
Wieso also soll ich mich dann jetzt mit dem Leid der Menschen
überhaupt 'belasten'. Warum lassen mich die Nachrichten denn
nicht in Ruhe damit, wo sie sich nachher sowieso nicht für die
Betroffenen interessieren? Was erbringt all das?"
Und
in einem Slum in Kenia werden möglicherweise jetzt gerade zwei
Menschen erschlagen, vielleicht aus Hunger und aus Gier, wovon ich ja
auch nie etwas erfahren werde. Warum lassen die im Radio dann nicht
die andere Meldung von dem Brand da und dem Feuer dort direkt mal
weg? Mir kommt in den Sinn: Entweder sollten wir berichten und das
Danach dann unbedingt aber auch erfassen ... oder es direkt alles
sein lassen, also dann gar nichts berichten. (Denn wir wissen sowieso
vieles nicht, weil es agenturmäßig nicht erfasst ist und
seinen Weg kaum in keine Meldung finden kann.)
Ein eigenes
Sende-Format wäre vielleicht auch noch nötig. Zusätzlich
zu den hier grob angedachten (besseren und oftmaligeren)
Danach-Meldungen und Danach-Nachrichten als "Medien-Nachhaltigkeit".
Die Polizei hat ihre Cold Cases, und der Deutschlandfunk hat/hätte
ja zugleich immer seine Hot Cases, die nur leicht abgekühlt
sind, nämlich die Folgen von schlimmen Ereignissen, z. B. von
extrem heißen Bränden, und wie die Menschen heute damit
leben (oder auch nur noch existieren).
Es geht immer um
Opfer selbst, wenn/falls diese noch leben, und um Angehörige von
Opfern, wenn es zu Todesfällen kam. (Und just jetzt fallen mir
etliche Meldungen über Heuschreckenschwärme ein, Afrika,
schon Monate her, wo auch immer alles, ja, die ganze Ernte
abgefressen wurde, keine Nahrung, keine Einkünfte, ein Desaster,
wozu es auch keine Danach-Meldungen gab. Felder weg, okay, eine
fatale Situation vermutlich ... und dann? Was tun die Menschen nun?
Leben die denn noch ohne jegliche Ernteerträge?)
Selbst
über Bhopal (3.12.1984) würde man weiterhin wissen wollen,
wie es den Bewohnern dort bzw. ehemals von dort ergeht. Und wie sich
die Industrie heute im Bundesstaat Madhya Pradesh
sicherheitstechnisch aufstellt.
Zu Hiroshima und Nagasaki
(6. und 9. August 1945) erfährt der Mensch was, weil dort
Jahrestage in uhrwerksgetreuer Ritual-Handlung (und das aus gutem
Grund) jedes Jahr begangen werden. Weltweit wird dann etwas aus Japan
kommuniziert. Auch in den Nachrichten des Radios.
Aber die
Katastrophe von Bhopal? Was ist damit? Wer sagt uns heute wieder und
wieder was davon und dazu? (Und das meine ich jenseits von
Kurz-Formaten wie "Kalenderblatt" und "Zeitzeichen"
und "Stichtag" oder wie die sonst noch heißen. Da
wird das Ereignis als solches kurz wiedererinnert, aber eben nicht
explizit "Das Danach" aufbereitet.) Meldungen jenseits
solcher Formate gibt es dann eher so: "Zum 25. Jahrestag des CCCC von
JKZXXG trafen sich der Ministerpräsident von XHKJXHK und die
Überlebenden und Angehörigen ..."
Man sollte
also immer einerseits Reportagen im Programm haben, wo wirklich
tiefgehend dem Schicksal der Menschen von schlimmen Ereignissen
nachgegangen wird. Und zugleich immer auch die kürzeren, aber
regelmäßigen Meldungen/Nachrichten vom Danach solcher
Ereignisse.
In diese Richtung denke ich: Eine Art von
Medien-Nachhaltigkeit. (Und Sie ja vielleicht irgendwie auch!)
So
oft bin ich verärgert, wenn ich von Bränden (als unser
erstes Ausgangsbeispiel) im Radio höre, in den Nachrichten. Ich
sinniere dann: "Warum ballert ihr mich mit den Informationen
zu?" ... und übermorgen ist doch alles vergessen, in den
Nachrichten fällt kein Wort, alles vorbei, alles "perdu".
Viel zu schnell geht es um ON und OFF in der Medienbranche.
All
das sollte man zum Positiven hin verbessern. Aber die (umsetzbaren)
Details wissen und kennen nur die Leute in den Sendern selbst, z. B.
im Deutschlandfunk, da müsste man dann mal einen kleinen
Brainstorming(!!! Storm !!! Sturm !!! Katastrophe !!!)-Workshop zu
diesem Thema ansetzen. Der nächste Hurrikan in der Karibik kommt
ja auch so sicher wie bestimmt. Auch da habe ich fast nie erfahren,
wie es vor Ort nach gigantischsten Schäden
weiterging.
Vielleicht gab es den von mir erhofften
Workshop ja auch schon. Und Sie sagen: Wir kennen das Problem, wir
befassen uns schon Jahre damit, aber wir fanden bisher noch keine
überzeugende Lösung. Wie auch?! Bei der Masse an
Ereignissen!
Okay, das mag sein. Aber aktiv besser machen
könnte man es dennoch. Etwas geht immer. Allein durch
Nachrichten-Danach-Kontroll-Routinen. ("Wo ist die erste grobe
Abschlussmeldung zu den Bränden, also dem Ende der Brände
... in Brandenburg, Horst-Dieter? War die schon?")
Auch
durch stetige Debatten über das Grundproblem als solches kommt
man einen Schritt weiter.
Mit freundlichen Grüßen,
Klaus Jans
P.S.: Dürre in Italien, da muss ich gerade
auch noch dran erinnern. Was ist und was war denn nun mit dieser
Dürre? Ganz akut eine Bedrohung doch wohl. Wie geht es da
nachrichtlich weiter? Ach hätte ich nur nie von dieser Dürre
gehört, dann müsste ich jetzt auch nicht darüber
nachdenken. Ich helfe ja niemandem damit.
-- (Wurde in etwa so an den DLF versandt, per Mail. Am 3.7.2022. Hier nochmals durchgesehen und evtl. rechtschreibemäßig korrigiert.)
EIN TEXT VON KLAUS JANS, Juli 2022.
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